Christoph Schwahn

Kriterienbildung einer ästhetischen Bewertung von Marschlandschaften Vortrag in der interdisziplinären Tagung "Kulturlandschaft Nordseemarschen" am 1./2. März 1996 in Husum

Diese Tagung stellt eines der Highlights in meiner beruflichen Laufbahn dar. Dies liegt weniger an meinem Vortrag (obwohl er gut aufgenommen wurde), als an der in dieser Form nie wieder erlebten interdisziplinären Bandbreite der Teilnehmer. Vom Biologen bis zum Literaturwissenschaftler spannten sich die Tagungsbeiträge und beleuchteten diese Kulturlandschaft aus den unterschiedlichsten Perspektiven, von der Vegetation über die Literatur Theodor Stroms, die Bilder Emil Noldes bis hin zur friesischen Mentalität. Organisiert wurde die Tagung vom Nordfriisk Instituut in Bredstedt, welches auch den Tagungsband vertreibt. Allen, die sich für Kulturlandschaft interessieren, sei dieses Buch wärmstens empfohlen!

Einführung

Vor ziemlich genau einem Monat erhielt ich während einer Diskussion auf einer Tagung, in der es um die Entstehung der Kulturlandschaft ging, ein wichtiges Stichwort. Ich hatte die Vermutung geäußert, daß bei allen Zielen, die heute im Naturschutz und in der Landschaftsplanung gelten, ästhetische Vorstellungen geradezu romantischer Art eine höhere Rolle spielen, als wir uns eingestehen. Nehmen wir als Beispiele dieses schön abgestufte Waldrand-Modell, dessen ökologische Wertigkeit in einer neueren Untersuchung ad absurdum geführt wurde, oder die vorindustrielle bäuerliche Kulturlandschaft mit ihren vielen Hecken, oder auch die hypothetische Landschaft der heutigen potentiellen natürlichen Vegetation, die wir ebensowenig wie eine heile Naturlandschaft je zu Gesicht bekommen werden. Ich finde überhaupt nichts Schlimmes dabei, wenn ästhetische Kategorien in unserem Wertesystem eine Rolle spielen. Schlimm finde ich nur, wenn wir so tun, als ließen wir uns von diesen subjektiven Leit-Bildern nicht beeinflussen, und wenn wir stattdessen ausschließlich ökologische Gründe anführen, warum ein solches Leit-Bild verwirklicht werden sollte.

Ich hatte mich also dagegen ausgesprochen, die Leitbilder in unseren Köpfen zu "ökologisieren". Ein Teilnehmer der Tagung, der gerade einen Vortrag über die voreiszeitliche Naturlandschaft mit eindrucksvollen, farbigen Zeichnungen voller Elefanten, Flußpferden und Nashörnern illustriert hatte, warf mir erregt vor, den Naturschutz zu psychologisieren". Natürlich, genau das muß jemand tun, der sich mit der Ästhetik von Landschaft auseinandersetzt. Diese Auseinandersetzung ist jedoch alles andere als realitätsfern. Wenn unsere Kulturlandschaft dadurch definiert ist, daß sie maßgeblich unter Einfluß menschlichen Handelns entstanden ist und weiterentwickelt wird, dann ist die Frage nach der Motivation der Menschen wohl legitim.

Unsere heutige Tagung wendet sich der Marschlandschaft zu und läßt ihrer Geschichte, welche mit der Geschichte der hier lebenden Menschen untrennbar verbunden ist, genügend Raum. Wenn man sich aber mit dem Menschen beschäftigt, wird man an seinen Werten und somit auch an der Ästhetik nicht vorbeikönnen. Und so zieht sich in der Tat die Frage der Ästhetik von Marschlandschaften wie ein roter Faden durch unsere Tagung. Zwar wenden sich längst nicht alle Vorträge explizit dieser Frage zu, sondern beantworten Fragen zur Geschichte, zur Ökologie, zur Kulturgeographie und zur Kultur dieses eigenartigen Landschaftstyps. Dennoch hat dies alles auch mit Ästhetik zu tun, und da ich der erste in der Reihe der Vortragenden bin, die sich ausdrücklich mit diesem Thema beschäftigen, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf diesen Sachverhalt lenken. Jeder von uns frage sich einmal, warum ihn Marschen interessieren. Die Antwort lautet sicher bei den meisten: Landschaft, ihre Entstehungs- und Kulturgeschichte, ihre Natur, ihre Pflanzen, Tiere, ihre Einwohner interessieren mich, bedeuten mir etwas. Wie aber käme eine solche Faszination zustande, wenn nicht über die ästhetische Auseinandersetzung mit unserer Lebenswelt?

Das Thema meines Vortages lautet: "Kriterienbildung für eine ästhetische Bewertung von Marschlandschaften" und ist unter den Abschnitt "Kulturgeographie und Landschaftskunde" eingeordnet worden. Dies klingt alles sehr sachlich, aber das Thema meines Vortrages, die ästhetische Beurteilung von Marschlandschaften, ist, wie ich bereits angedeutet habe, sehr persönlich. Es hat mehr mit dem Menschen zu tun als mit der Landschaft. Um daher von vornherein die Vorstellung auszuräumen, daß ich Ihnen im folgenden allein die gültigen Kriterien vorwerfe, nach denen die Marschlandschaft ästhetisch zu beurteilen ist, möchte ich den Gang meines Vortrages kurz darlegen:

1. Nach der Einleitung, die gerade zu Ende geht, möchte ich Ihnen den konkretesten und aktuellen Anlaß ästhetischer Bewertung von Marschlandschaften kurz vorstellen: die Nutzung der Windenergie.

2. Ästhetik ist eine Sache, die meist nur privat diskutiert, in den Entscheidungs- und Handlungsprozessen der heutigen Öffentlichkeit dagegen aufs strengste ausgegrenzt wird. Wie ich schon andeutete, wird lieber "ökologisiert" als die persönliche Präferenz preisgegeben, die ohne Zweifel ihre Wurzeln in der Ästhetik hat. Es ist daher unbedingt erforderlich, sich mit dem Begriff der Ästhetik und dem, was er beinhaltet, auseinanderzusetzen, und gerade Ökologen, Geographen und Landespfleger haben hier m.E. einen erheblichen Nachholbedarf.

3. Da ästhetische Bewertungen zwar jedem von uns sehr geläufig sind, weil wir sie täglich betreiben, aber dennoch bis heute kaum einen nennenswerten Eingang in planungsrechtliche Verfahren oder wissenschaftliche Methoden gefunden haben, möchte ich spezielle Probleme ästhetischer Bewertung ansprechen, bevor ich Ihnen die Kriterien erläutere, die eine ästhetische Bewertung einer Marschlandschaft erleichtern helfen.

4. Zum Schluß will ich noch einige kritische Ausführungen zur Technologie ästhetischer Bewertungen machen, und muß mich nun sputen, zum aktuellen und gerade hier in Husum unübersehbaren Anlaß ästhetischer Bewertung zu kommen: der Nutzung der Windenergie.
 

1. Die Nutzung der Windenergie als konkreter Bewertungsanlaß

Mit der Novellierung des Energieeinspeisegesetzes am 1. Januar 1991 ist vor allem im Küstenraum Norddeutschlands eine Flut von Anträgen zur Errichtung von Windenergieanlagen auf die Behörden eingeströmt. Da dies politisch gewollt war, schien auch die Genehmigung keine Frage mehr, denn es handelte sich um eine "gute Sache". Nun schien es möglich, die natürliche Energie des Windes in Elektrizität umzuwandeln und auf diese Weise zu nutzen, ohne daß nukleare Bedrohung oder Waldsterben als Preis hierfür gezahlt werden müßten.

Doch schnell zeigte sich das Problem: die Zahl der Anträge ließ vermuten, daß hier in kürzester Zeit eine gravierende Landschaftsveränderung stattfinden würde. Nach den Erfahrungen der Nachkriegszeit sind wir mit solchen Veränderungen glücklicherweise etwas vorsichtiger geworden, und so hielten sich einige Kreisverwaltungen zunächst mit der Genehmigung zurück, bis neuere Erkenntnisse vorlagen. Andere begannen und hielten inne, als das Ausmaß der Landschaftsveränderung sichtbar wurde. Gutachten wurden in Auftrag gegeben, die sich in erster Linie den Auswirkungen auf die Vogelwelt widmeten. Auch meldeten sich Gegner zu Wort: Einwohner der betroffenen Küstenlandschaften, deren Heimat durch das Erscheinungsbild der überall sich drehenden Windräder verändert worden war.

Leider sind auch Windkraftanlagen ganz offensichtlich nicht ohne negative Auswirkungen. Sie werden entweder in flachen Marschlandschaften oder im Mittelgebirgsraum auf freien, exponierten Stellen errichtet. Beides garantiert hohe Sichtweiten und damit eine ästhetische Betroffenheit großer Bereiche. Besonders ins Gewicht fällt die hohe Zahl der Anlagen, die zur Umsetzung der ehrgeizigen Windenergieprogramme von Bund und Ländern erforderlich sind. Hinzu kommt die Tatsache, daß sich diese Anlagen nur in windhöffigen Gebieten rentieren. Sie sind also nicht gleichmäßig im Lande verteilt, sondern verändern nur einige Landschaften sehr stark.

Wenn eine Tierpopulation ausstirbt, weil bei der Umweltverträglichkeitsstudie ihre Lebensansprüche falsch eingeschätzt wurden, stirbt sie leise, ohne Protest. Eine Fehlentscheidung in ästhetischer Hinsicht führt sicher nicht zum Aussterben der Bevölkerung, wohl aber zu verstärktem Unwillen. Gleichwohl sind vor allem in der Vergangenheit die Entscheidungen zugunsten oder gegen die Errichtung von Windkraftwerken vor allem an den Bedürfnissen der Vogelwelt orientiert worden. Bei diversen, teilweise mit hohem Aufwand durchgeführten Forschungsvorhaben sind wohl negative Auswirkungen ermittelt worden, deren Schwere jedoch nicht eindeutig ist. Was wir nicht wissen ist: wie werden die Auswirkungen sein, wenn wirklich alle beantragten Anlagen errichtet sind? Es ist sicher leicht nachzuvollziehen, daß die Vogelwelt neue Flughindernissen nicht begeistert begrüßt und zunächst andere Brutplätze bevorzugt. Dies reicht bereits aus, um bestimmte Plätze für die Errichtung von Windenergieanlagen auszuschließen. Bleibt nur sarkastisch zu fragen: was würde geschehen, wenn die Menschen ihren Lebensmittelpunkt ebenso leicht verlegen könnten wie die Vögel?

Die ästhetischen Konsequenzen der Windenergienutzung im norddeutschen Küstenraum sind nach meiner durchaus subjektiven Einschätzung eines Zustandes, der nur schwer vorstellbar ist, ihre gravierendsten Auswirkungen. Paradoxerweise jedoch liegen hierzu kaum Untersuchungen vor! Warum dies so ist, habe ich bereits in der Einleitung angedeutet: Ästhetik ist subjektiv und wird damit der privaten Sphäre zugeordnet und aus öffentlichen Prozessen ausgeklammert. Bedürfnisse der Vogelwelt dagegen erscheinen objektiv, wenngleich auch Vögel nur Subjekte sind. Warum messen wir ausgerechnet der Vogelwelt so viel Bedeutung zu? Auch unabhängig von der Windenergienutzung waren Vögel die erste Tiergruppe, die im Mittelpunkt des Naturschutzinteresses stand. Kaum jemand dagegen hat sich wohl Gedanken über die Insekten gemacht, die auf den Flügeln von Windkraftwerken enden - höchstens allenfalls, weil durch tote Insekten der aerodynamische Wirkungsgrad der Anlagen reduziert wird. Sind nicht auch hier ästhetische Gründe im Spiel?
 

2. Ästhetik der Marschlandschaft

Schon § 1 des Bundesnaturschutzgesetzes stellt !Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft" als ideelle Schutzgüter den materiellen Schutzgütern "Naturhaushalt", "Naturgüter" und "Pflanzen- und Tierwelt" gleichberechtigt gegenüber. Der Unterschied zwischen materiellen und ideellen Schutzgütern ist wesentlich für die ästhetische Beurteilung von Landschaft. Die Landschaft als der Lebensraum des Menschen ist für seine Existenz in materieller Hinsicht wichtig: sie liefert Nahrung, Materialien und Energie. Diese Bedürfnisse erscheinen - oberflächlich betrachtet - seine objektiven Grundbedürfnisse zu sein, ohne sie ist der Organismus nicht lebensfähig.

Einen Organismus und entsprechende Bedürfnisse haben jedoch auch andere Lebewesen auf diesem Planeten. Von ihnen unterscheidet sich der Mensch durch sein Bewußtsein und seine Seele, welche die ideelle Komponente menschlicher Existenz darstellt. Auch sie wird durch die Befriedigung existentieller Grundbedürfnisse am Leben gehalten. Ideelle Bedürfnisse des Menschen wie Geborgenheit, Bestätigung, Liebe, Identität, Spiritualität, Heimat, Natur und nicht zuletzt Schönheit erscheinen dagegen sekundär, weil sie von Individuum zu Individuum verschieden und damit subjektiv sind. Wer jedoch geneigt ist, den materiellen Bedürfnissen des Menschen Vorrang einzuräumen, möge sich zweierlei vor Augen halten: zum einen werden die scheinbaren „Grundbedürfnisse“ materieller Art in unserer Gesellschaft so überzogen, daß man sie nicht mehr als Grundbedürfnisse bezeichnen kann. Wir essen dreimal so viel wie wir vertragen, und unser Material- und Energieverbrauch übertrifft den ärmerer Gesellschaften um ein Vielfaches.

Doch nicht erst seit Kaspar Hauser wissen wir, daß gerade die ideellen Bedürfnisse die Besonderheit des Menschen unter den Lebewesen ausmachen. Ich will nicht die Kriege aufzählen, die aufgrund ideeller Bedürfnisse geführt wurden, denn auch diese Bedürfnisse lassen sich beliebig übersteigern. Viel näher liegt es gerade hier in der Heimat eines Emil Nolde oder Theodor Storm, die unendliche Schaffenskraft des Menschen in bildender Kunst, Literatur und Musik als Beleg für die existentielle Bedeutung ideeller Werte für den Menschen zu nehmen.

Der Begriff "Ästhetik" ist bereits mehrfach gefallen, und so will ich nicht versäumen, an dieser Stelle ein weit verbreitetes Mißverständnis auszuräumen, welches sich hartnäckig zu halten scheint. Unter "Ästhetik" wird von vielen so etwas wie "die Lehre vom Schönen" verstanden. Oder, noch schlimmer, es wird von "ästhetischen" und "unästhetischen" Dingen geredet. Dies ist falsch. Ästhetik ist nicht die Lehre vom Schönen, sondern die Lehre von der Wahrnehmung. Die Wahrnehmung erfolgt zunächst über die Sinne in Form von Nervenreizen. Das Entscheidende jedoch ist die Art und Weise, wie diese Sinnesreize im Bewußtsein registriert werden, wie sie zu Empfindungen werden. Dieser Vorgang ist ganz und gar subjektiv, und diese Subjektivität ist zutiefst menschlich und wird von vielen als Schwäche verstanden, denn auch der Begriff "menschlich" wird häufig mit negativen Bedeutungen umgeben, wie "Irren ist menschlich". Welcher Politiker wird schon eine Entscheidung z.B. über den Standort eines Windenergieparks auf eine so subjektive, menschliche Empfindung von "Schönheit der Landschaft" gründen wollen? Gründe des Umweltschutzes sind da schon handfester, weil objektiv darstellbar, wenn auch oft nur in hypothetischen Modellen.

Was aber verbirgt sich hinter dem vielzitierten Begriff "Landschaftsbild"? Während die einen hierunter die sinnlich erfaßbare Landschaft verstehen, meinen andere damit ein Bild, das sich jemand von einer Landschaft macht. Eine dritte Interpretation kann mit einer Panoramaaufnahme der Landschaft gleichgesetzt werden: das Visuelle steht im Vordergrund, die übrigen Sinne treten zurück. Angesichts dieser verwirrenden Bedeutungsvielfalt rate ich sehr dazu, vom Begriff des "Landschaftsbildes" Abstand zu nehmen, damit bei der ästhetischen Bewertung von Landschaft alle Sinneswahrnehmungen gleichermaßen berücksichtigt werden.

Bilder der Marschlandschaft hat Emil Nolde gemalt, Theodor Storm hat sie mit seinen Schilderungen in den Köpfen seiner Leser erzeugt. Beide waren von dieser Landschaft besonders fasziniert, weil etwas an ihr die sinnliche Wahrnehmung besonders anregt. Längst nicht allein die Sinneswahrnehmung des Sehens ist hierfür verantwortlich zu machen, denn die eintönige Marsch bietet relativ wenig für das Auge: das Rauschen des Windes in Gras, Büschen und Bäumen, der Geruch des Watts und der See, die Stille, die Weite, das Gefühl des Untergrundes, des Windes, der Kälte oder des Regens; all diese Sinneswahrnehmungen haben sich zu einem intensiven Lebensgefühl verdichtet, das Nolde zum Malen, Storm zum Schreiben trieb. Diese beiden Künstler haben also nichts anderes getan, als ihrem intensiven Lebensgefühl bei Konfrontation mit der Marschlandschaft Ausdruck zu geben, und hier wird eine einfache und überzeugende Definition von Kunst möglich. Kunst könnte man als die Fähigkeit bezeichnen, Gefühle mit Hilfe eines Mediums festzuhalten und damit auch weiterzuvermitteln. Da die Entstehung eines Gefühls wie auch die Rezeption eines Kunstwerkes sich auf sinnliche Wahrnehmung stützt, berühren sich Kunst und Ästhetik. Keinesfalls jedoch reduziert sich Ästhetik auf "die Wissenschaft von der Kunst". Und damit will ich es mit der Ästhetik bewenden lassen und zur Problematik ästhetischer Bewertung überleiten.
 

3. Kriterien zur ästhetischen Bewertung einer Marschlandschaft

Bewertung und sinnliche Wahrnehmung liegen viel dichter beieinander, als wir gemeinhin glauben. Denn das, was wir als "Wirklichkeit" bezeichnen, ist ebenfalls das Ergebnis unserer Sinneswahrnehmungen, welche das Empfinden der Wirklichkeit in unserem Bewußtsein auslösen. Wir wissen, wie unterschiedlich diese Wirklichkeit empfunden werden kann. Unser Kontext, unsere individuelle, auch zeitlich sehr unterschiedliche Befindlichkeit bestimmt unser Empfinden der Wirklichkeit. Und hieraus folgt zwangsläufig: nichts hat eine Bedeutung in sich. Wir sind es, die den Dingen ihre Bedeutung geben. Und zwar allen Dingen, nicht nur dem Bild der Landschaft. Wenn wir beschlossen haben, unser Geschirr hinfort maschinell spülen zu lassen, dann ist der daraus resultierende Stromverbrauch keine Naturgesetzlichkeit. Wären wir in der Lage, täglich die Auswirkungen der Kraftwerke in einer Form wahrzunehmen, die wir noch unangenehmer empfänden als das Geschirrspülen, sähe diese Entscheidung ohne Zweifel anders aus. Dies soll verdeutlichen, daß es eine objektive Bewertung nicht gibt. Eine Bewertung beinhaltet immer ein wertendes Subjekt, und das, was bewertet werden soll, ist längst nicht in jedem Fall objektiv vorhanden.

Bewertungen sind Voraussetzungen des Handelns. Jeder Entscheidung geht eine Bewertung voraus, und sei sie noch so banal. Häufig überläßt man seine Entscheidung der Intuition, vollzieht sie somit unbewußt. Aber auch eine intuitive Entscheidung setzt eine Wertung voraus. Intuitive Entscheidungen sind nur als Entscheidungen eines Individuums denkbar. Bereits eine kleine Gruppe würde intuitive Entscheidungen eines Einzelnen nicht nachvollziehen können, wenn es diesem nicht gelänge, die Gründe der Entscheidung, also die entscheidungsbeeinflussenden Werte, weiterzuvermitteln. Dies kann durch nachvollziehbare Argumentation, durch Machtausübung oder durch persönliche Überzeugungskraft geschehen. Gelegentlich überzeugen intuitive Entscheidungen auch durch ihre herausragende Qualität. Aber auch die weniger genialen oder einfach weniger erfahrenen Menschen haben wichtige Entscheidungen zu fällen. So ist es sicherlich verständlich, daß sie sich mit systematischen Bewertungsverfahren ihre Entscheidung zu erleichtern suchen. Darüber hinaus sind Entscheidungsprozesse heute überwiegend mehrheitlicher Art, und die beste Intutition eines Einzelnen muß sich den Entscheidungsträgern in nachvollziehbarer Weise vermitteln lassen. Auch dies spricht für eine systematische Vorgehensweise.

In der landespflegerischen Berufspraxis sind Landschaftsbewertungen im wesentlichen erforderlich
 

  • bei der Beurteilung der "Eignung" einer Landschaft für bestimmte Nutzungen, z.B. Erholung oder Windenergienutzung; (wir sprechen hier von Eignungsbewertung)
  • bei der Beurteilung bestehender Beeinträchtigungen zur Ermittlung der Vorbelastung sowie bei der Bewertung zukünftiger Beeinträchtigungen zur Bestimmung der Schwere eines Eingriffs in Natur und Landschaft, (z.B. bei der Eingriffsregelung oder der Risikoanalyse), und schließlich
  • bei der Beurteilung bestimmter Landschaftsräume unter bestimmten Gesichtspunkten (z.B. ökologische Vernetzung, gliedernde und belebende Strukturen, Artenausstattung), um Werte und Defizite im Rahmen der Landschaftsplanung aufzuzeigen und Schwerpunkte des Handlungsbedarfs zu lokalisieren.

Leider sind auch weniger sachbezogene Gründe zu finden, vor allem verschleiernde "Bewertungen" im Zuge von Durchsetzungsstrategien, die nach dem Prinzip des Kaisers neuer Kleider überzeugen sollen. Derartige Verfahren werden mit Recht kritisiert.

Systematische Vorgehensweisen bei der ästhetischen Beurteilung von Landschaft wie in der Studie von Herrn Hasse und mir zur Windenergienutzung in der Wesermarsch sind vor allem dann eine wertvolle Hilfe, wenn große Flächen hinsichtlich ihrer ästhetischen Wertigkeit oder ihrer Empfindlichkeit gegenüber ästhetisch wirksamen Eingriffen differenziert werden müssen. Die Marschlandschaft erscheint zunächst einmal flach und vergleichsweise homogen. Erst durch systematische Analyse der Landschaft werden die Unterschiede deutlich; intuitiv wäre das Problem niemals zu lösen. Interessant war, daß die als Ergebnis unserer Analyse differenzierten Landschaftseinheiten ziemlich genau den zu verschiedenen Epochen entstandenen Wesermarschen entsprachen. Das ist zwar im Nachhinein logisch, weil die Ausprägung einer Landschaft viele Kulturaussagen beinhaltet, Landschaft also ein großes Kulturdenkmal darstellt. Es bestätigt jedoch, daß eine subjektive Beurteilung ästhetisch relevanter Kriterien keine reine Willkürhandlung darstellt, nimmt man sie systematisch genug vor.

Eine solche Landschaftsanalyse ist im Grunde sehr einfach. Zunächst sollte man sich einen Überblick über den Untersuchungsraum verschaffen, z.B. durch eine Rundreise. Hierbei sollten die Kriterien der späteren Erhebung festgelegt werden, da sie von Landschaft zu Landschaft unterschiedlich sind. Es ist zweckmäßig, bei der Erhebung dieser Kriterien in den Fern-, Mittel- und Nahbereich sinnlicher Wahrnehmung zu differenzieren.

Ästhetisch relevante Kriterien sind häufig zeitabhängig. Tageszeit, Jahreszeit und Wetter beeinflußen einerseits die Ausprägung der Kriterien selbst, zum anderen setzen sie die Grenzen der sinnlichen Wahrnehmung. Durch den Wechsel dieser Kriterien wiederum wird Zeit erfahrbar, wie beispielsweise über jahreszeitliche Aspekte besonderer ästhetischer Relevanz (z.B. Blüte, Frucht, Laubfärbung; Ernte oder Gülledüngung). Der Zeitpunkt einer Landschaftsanalyse ist daher ein wichtiger Faktor; unter Umständen muß sie mehrmals im Jahr durchgeführt werden.

Gerade das letzte Beispiel Gülle soll verdeutlichen, daß nicht nur positiv bewertete Kriterien von ästhetischer Relevanz sind. Extreme Sinnesreize werden vom Menschen in aller Regel als negativ empfunden (z.B. starke Gerüche, grelle Reflexe, Hitze, Kälte, Lärm), und die Freiheit von solchen Extremen ist ein wesentliches Ziel bei der Gestaltung einer ästhetisch befriedigenden Landschaft.

Von erheblicher Bedeutung für das Erscheinungsbild der Marschlandschaft, aber auch für ihre Empfindlichkeit gegenüber der Errichtung von Bauwerken wie Windenergieanlagen, ist die Sichtweite. Sie bestimmt nicht nur den Raum, welcher von einem Standort aus eingesehen werden kann; vielmehr lassen sich durch die Zusammenfassung hoher Sichtweiten von mehreren Standorten aus großräumige Sichtachsen festlegen, die für das landschaftliche Erleben größerer Räume bedeutsam sind.

In unmittelbarem Zusammenhang mit der Sichtweite steht das Kritierium der vertikalen Strukturierung und damit auch der Gliederung eines Landschaftsraumes. Sie wird in der weiten, überwiegend horizontal angelegten Marschlandschaft im wesentlichen durch Gehölzbestände und Bebauung bewirkt. Diese vertikalen Elemente bestimmen weitgehend die Räumigkeit der Landschaft und begrenzen den Blick. Es ist daher hilfreich, Sichtbarrieren und die durch sie begrenzten Sichträume zu identifizieren.

Darüber hinaus ist das Vorhandensein und die Anordnung vertikal strukturierender Landschaftselemente maßgeblich am Zustandekommen landschaftlicher Eigenart und Vielfalt beteiligt. So unterscheiden sich beispielsweise die Landschaften der Wesermarsch und der nordfriesischen Marsch vor allem durch ihre vertikale Strukturierung. Aber auch kleinräumiger sind erhebliche Unterschiede feststellbar, so zum Beispiel in der Wesermarsch selber. Diese Unterschiede sind Zeugnisse der Landschaftsgeschichte: zu unterschiedlichen Zeiten erfolgte Eindeichungen, oder auch die Folgen verheerender Sturmfluten sind an der unterschiedlichen Strukturierung und Gliederung der Marschen ablesbar.

Bedeutsam ist der Zusammenhang von Sichtweite, Sichtachsen und Landmarken (auf die ich gleich noch zu sprechen komme). Positiv, aber auch negativ empfundene Landmarken, besonders aber die störenden Hochspannungsleitungen erhalten durch das Vorhandensein hoher Sichtweiten eine deutliche Fernwirkung.

Ein Kriterium mit besonderer Bedeutung in Marschlandschaften ist das Horizontbild. Es ist zu vergleichen mit der Silhouette von Gebirgslandschaften, bestimmt im Gegensatz zu dieser jedoch einen erheblich höheren Anteil des landschaftlichen Gesamterlebens. Das Horizontbild muß beschrieben werden. Hierzu sind weitere Kriterien erforderlich.

Nicht nur in einer Marschlandschaft ist die Harmonie natürlicher und künstlicher Elemente wesentlich. Hier jedoch kann ein gestörtes Verhältnis der horizontalen und vertikalen Dimensionen aufgrund der Wirksamkeit auf das Horizontbild besonders gravierend sein. Die Marschlandschaft ist gekennzeichnet durch die Horizontale, die aufgrund der hohen Sichtweite dominiert. Den natürlichen Maßstab für die Vertikale setzen hochwachsende Bäume, die hier fast jedes ältere Gehöft umgeben. Jedes Bauwerk, das diesen Maßstab sprengt, bekommt fast automatisch horizontbildende Wirkung für eine Vielzahl von Standorten der Wahrnehmung. So kann ein aufragender Turm oder ein Silo eine erheblich landschaftsprägendere Wirkung nach sich ziehen als eine Lagerhalle, die zwar von ihrer Grundfläche sehr groß, jedoch flach gehalten ist. Es ist daher für eine ästhetische Landschaftsanalyse wichtig, diejenigen Elemente einer Landschaft zu lokalisieren, die den Maßstab setzen, und jene, die ihn sprengen.

Maßstäbe müssen nicht unbedingt von natürlichen Elementen wie hohen Bäumen gesetzt werden. Auch Bauwerke können landschaftliche Maßstäbe vorgeben. Handelt es sich um herausragende Einzelbauwerke, erhalten sie den Charakter von Landmarken, d.h. eindeutigen Identifikationsobjekten. Beispiele sind Kirchtürme, Windmühlen oder Großgebäude. Derartige Landmarken sind vor allem in der flachen Marsch bedeutsam. Früher waren sie wichtige Orientierungshilfen für die Seefahrt. Aber auch heute stellen Landmarken Orientierungshilfen dar. Wer das Bestreben kennt, in einer gebirgigen Landschaft den höchsten Punkt zu erklimmen, mag das Orientierungsbedürfnis des Menschen ermessen, welches die Ursache dieses Verlangens ist.

Über die Funktion als Orientierungshilfe hinaus sind Landmarken als im wesentlichen anthropogene Elemente auch wichtige Bedeutungsträger der landschaftlichen Gesamtausssage, die von jedem Einzelnen unterschiedlich interpretiert wird. Kirchtürme, Windmühlen und Leuchttürme haben andere Aussagen als Silos und Hafenkräne. Hochspannungsmasten und Windkraftanlagen stellen aufgrund ihrer inflationären Erscheinungsweise und ihres normierten Erscheinungsbildes nicht direkt Landmarken dar, prägen aber dennoch die ästhetische Gesamtaussage einer Landschaft.

Weil, wie schon angedeutet, die Bedeutungsinhalte einer Landschaft von jedem Einzelnen unterschiedlich interpretiert werden, erscheint nicht sinnvoll, sie zu stark zu differenzieren. Bei ästhetischen Konflikten haben wir es in der Regel heute mit dem Konflikt zwischen Natur, kultureller Tradition und moderner Technik zu tun, selbst wenn das, was wir als „Natur“ empfinden, Ergebnis jahrhundertealter Kultur ist - wie die Marschen. Natürliche Bedeutungsinhalte besitzen alle Pflanzen: Wälder, Feldgehölze, Baumreihen und Einzelgehölze, Sträucher, Brachen und Raine. Auch Wasser weist natürliche Bedeutungsinhalte auf, vor allem im Nahbereich der sinnlichen Wahrnehmung. Hinzu kommt in den Marschen die unüberseh- und unüberhörbare Vogelwelt in ihrer besonderen Vielfalt und Eigenart.

Die kulturelle Tradition der Marsch wird durch Warften, Gehöfte, Dachlandschaften, Windmühlen, Leuchttürme oder Kirchen zum Ausdruck gebracht. Unmißverständlich sind die Elemente der technischen Zivilisation, die nicht nur in ihrer häufigen Unmaßstäblichkeit, sondern vor allem in ihrem inflationären Vorkommen und ihrer meist normierten Erscheinungsform den durch unsere heutige Kultur verursachten Landschaftswandel manifestieren. Die Windkraftanlagen sind das aktuellste Beispiel dafür, vor allem aber Hochspannungsmasten und eine intensive Landwirtschaft mit ihrer Infrastruktur prägen die Landschaft in einer für die Nachkriegszeit unverkennbaren Weise. Der im Vergleich zu den Veränderungen früherer Zeiten rasende Takt dieses Landschaftswandels provoziert ästhetische Konflikte großen Ausmaßes: im Extremfall können Menschen hierdurch ihre Heimat verlieren, ohne aus ihr fortgezogen zu sein. Dieses Schicksal könnte vor allem älteren Einwohnern der Marschen Norddeutschlands bei unreflektierter Umsetzung der Windenergieprogramme drohen.

Diese Kriterien allein sind noch keine Wertmaßstäbe. Diese erhalten sie erst durch Zuordnung normativer Aussagen. Um diesen Vorgang transparent zu gestalten, müssen die nach ihrer Ausprägung eingeschätzten Kriterien in Hinblick auf das Ziel der Untersuchung beurteilt werden. Dieses Problem läßt sich durch Arbeitshypothesen lösen, um eine subjektive Wertentscheidung transparent zu gestalten, zum Beispiel: „Je höher die Sichtweite, desto höher die Empfindlichkeit“ (der Landschaft gegenüber Windkraftanlagen oder sonstigen vertikal betonten Bauwerken). Es empfiehlt sich, eine solche Hypothese nicht auf sich beruhen zu lassen, sondern sie zu erläutern. Je größer die Zahl der Arbeitshypothesen, desto größer ist die Aussagegenauigkeit; allerdings ist Wert darauf zu legen, daß die Arbeitshypothesen sich nicht überschneiden und sich damit gegenseitig in ihrer Aussage abschwächen. Auf diese Weise läßt sich eine Aussage über Eignung und Empfindlichkeit einer Landschaft gegenüber speziellen Veränderungen wie z.B. der Windenergienutzung treffen und flächenbezogen darstellen.
 

4. Schlußbetrachtungen

Ich habe Ihnen in diesem Vortrag einen Abriß über die Problematik ästhetischer Bewertungen gegeben und dargelegt, wie dennoch mit Hilfe systematischer Vorgehensweisen zur Ermittlung ästhetisch relevanter Kriterien der Marschlandschaft Entscheidungshilfen für die Landesplanung gegeben werden können. Leider stürzen sich in unserer technologiegläubigen Zeit vor allem Politiker und Fachverwaltungen auf alles, was ihnen eine schnelle Problemlösung ohne allzu viel Aufhebens verspricht. Ich hoffe zwar, daß nach meinem Vortrag bei Ihnen nicht der Eindruck entstanden ist, wir hätten auch für die ästhetische Bewertung von Landschaft eine Technologie an der Hand - womöglich noch eine, die nur "Naturschutzfachleute" beherrschen. Dennoch will ich zum Abschluß für einen bewußten und verantwortungsvollen Umgang mit Landschaftsästhetik appellieren.

Die Wissenschaft muß häufig als Argumentationshilfe einspringen, wenn politische Verantwortung von den Verantwortlichen gescheut wird. Wissenschaftler bzw. wissenschaftlich ausgebildete Fachleute wie Landschaftsplaner sollen stattdessen politischen Willen als "objektiv", d.h. von der Sache her unumgänglich darstellen. Sie üben damit auf unzulässige Weise Macht aus. Diese Position der Wissenschaft ist nur eine vermeintliche Stärke. Die Schwäche der Wissenschaft dagegen besteht in ihrer immer noch sehr verbreiteten Unfähigkeit, auch immaterielle, also ideelle Sachverhalte zu akzeptieren und dem subjektiven Werturteil des Menschen den Platz einzuräumen, der ihm gebührt.

Dies kritisiert auch John C. Eccles in seinem Buch ´Das Rätsel Mensch´. Er schreibt: "Wenn wir mit der erschreckenden Behauptung von Wissenschaftlern konfrontiert werden, wir seien nicht mehr als Teilnehmer an den materialistischen Geschehnissen von Zufall und Notwendigkeit, so ist Wissenschaftsfeindlichkeit eine natürliche Reaktion. Man muß sich darüber im Klaren sein, daß der Materialismus eine Abkehrung und Entwertung alles dessen nach sich bringt, was im Leben von Bedeutung ist. Der einzige Wert ist die durch wissenschaftliche Methoden bewiesene Wahrheit. Alle anderen Werte wie Schönheit, moralische Werte und Selbstlosigkeit werden als unecht angesehen."

Henry David Thoreau hat mit seimem Aphorismus: "Wenn Du mit dem Farnkraut bekannt werden willst, mußt Du Deine Botanik vergessen" auf das Mystische ästhetischen Erlebens hingewiesen. Am besten jedoch hat für meine Begriffe Albert Einstein seine Gefühle zum Ausdruck gebracht:

"Das tiefste und erhabenste Gefühl, dessen wir fähig sind, ist das Erlebnis des Mystischen. Aus ihm keimt alle wahre Wissenschaft.
Wem dieses Gefühl fremd ist, wer sich nicht mehr wundern und in Ehrfurcht verlieren kann, der ist bereits tot.
Das Wissen darum, daß das Unerforschliche wirklich existiert und daß es sich als höchste Wahrheit und strahlende Schönheit offenbart,
wovon wir nur eine dumpfe Anhnung haben können, dieses Wissen und diese Ahnung sind der Kern aller wahren Religiosität.
In diesem Sinne, und nur in diesem allein, zähle ich mich zu den echt religiösen Menschen."

Die Sammlung dieser Zitate verdanke ich Bernd Gerken, der mit ihnen auf der Tagung ´Natur- und Kulturlandschaft´ am 31.1. - 1.2. 1996 in Neuhaus/Solling Denkanstöße provozieren wollte. Sie verdeutlicht sehr präzise eine Erkenntnis, die bereits in ähnlicher Form von Plato geäußert wurde. Was wir als Schönheit erkennen, ist ein Ausdruck der Vollkommenheit, die wir nicht anders als in diesem Gefühl zu erahnen vermögen. Aber selbst wenn der Alltag uns davon abhält, in eine solch philosophische Dimension vorzudringen, die uns ermöglicht, das Mystische der Schönheit zu erkennen, selbst dann ist die Frage aufzuwerfen:

Was eigentlich ist schlecht daran, daß wir Menschen subjektiv wahrnehmen, so daß wir selbst an der Wirklichkeit zweifeln müssen? Ist diese Subjektivität des Bewußtseins nicht vielmehr das Einzigartige am menschlichen Dasein? Könnten wir uns sonst an Kunst und Musik erfreuen, wären wir sonst nicht völlig dem weiten Bereich der Fiktion verschlossen, der uns durch Literatur, Filme und Schauspiele eröffnet wird? Was eigentlich hindert uns daran, unsere Lebenswelt so zu gestalten, daß sie auch unserem ideellen Bedürfnis nach Schönheit entspricht? Wir planen die Landschaft auch für den Menschen und sollten uns dies wahrhaftig vor Augen halten, denn auch wir Menschen sind Teil der Natur, Teil des Universums, dessen Vollkommenheit wir - da wir es nicht anders zu erfassen vermögen - in seiner Schönheit bewundern. Und indem wir erkennen, welche Bedeutung die Schönheit unserer Lebenswelt für uns wie für andere besitzt, sollten wieder dazu stehen, nicht nur unsere eigene subjektive, ästhetische Wertvorstellung bei der Gestaltung unseres Lebensraumes zuzulassen, sondern vor allem auch jene der von unseren Planungen Betroffenen zu akzeptieren.
 

Literatur:
Gerken, B. (1997): Einführung in das Tagungsthema der Tagung ´Natur- und Kulturlandschaft:  Vom Waldinnensaum zur Hecke - Geschichte, Situation und Perspektiven eines Natur-Lebensraumgefüges´ am 31.1. - 1.2. 1995 in Neuhaus/Solling. Höxter 1997 (Tagungsbericht)

Hasse, J.  und C.  Schwahn (1992): Windenergie und Ästhetik der Landschaft. Ästhetische Landschaftsverträglichkeit von Windenergieanlagen und Windenergieparks (Beispiel Wesermarsch). Interdisziplinäre Studie in drei Teilen, im Auftrage des Landkreises Wesermarsch (unveröffentlicht).

 


© Schwahn Landschaftsplanung, September 1998